Ridley Scotts Alien ist ein Meisterwerk in jeder Hinsicht. Ein noch immer unfassbar gut aussehender, perfekter Horror- und Science-Fiction-Film, der die Kunst seiner Genres nonchalant beherrscht, eine atmosphärische Spannung dicht wie Zement kreiert und den Horror in den Kopf des Zuschauers verlegt (das Monster selbst ist nur ein paar Minuten zu sehen, die Bedrohung in der Fantasie des Zuschauers hingegen dauerpräsent). Der manifestierte Ausdruck Hitchcockscher Suspense im Gegensatz zur banalen Surprise der meisten Artverwandten. Das Alien nicht als explosiver Schock, sondern als tickende Zeitbombe unter dem Küchentisch. Und auch: So politisch wie es das Genrekino von jeher ist. Science-Fiction-Horror, der utopisch wie dystopisch gelesen werden kann.
Die erste weibliche Blockbuster-Heldin
Die utopische Qualität des Werks zeigt sich besonders präzise in seiner feministischen Dimension. Vielfach wurde darauf hingewiesen, dass Alien quasi der erste große Blockbuster mit einer weiblichen Hauptdarstellerin ist – was sicher auch in dem Sinne, in dem Repräsentation wichtig ist, relevant ist. Wesentlich bemerkenswerter ist allerdings das Wie der fantastischen Darstellung Sigourney Weavers.
Weavers Ripley ist einer der Archetypen der weiblichen Heldin, die sich nicht durch das Zu-eigen-machen klassisch männlicher Posen definiert. Anders als Beatrix Kiddo in Tarantinos emanzipatorischen Meisterwerk Kill Bill, affirmiert sie nicht die männliche Pose und fordert gewaltsam ihren Platz im Boysclub ein, sondern zeigt Stärke gerade dadurch, dass sie ihre weiblichen Qualitäten (im sozial zugeschriebenen Sinne) behält bzw. zumindest maskuline Traits nicht heroisch adaptiert. Sie ist empathisch, verletzlich, nachdenklich und trotzdem (bzw. genau deshalb) als die stärkste Figur des Films inszeniert. Auch ist sie die einzige, die von Anfang an kritisch gegenüber Ash ist, dem letztlich androiden Repräsentanten des Auftrags-Konzerns. Und sie ist am Ende diejenige, die die Ruhe behält im Angesicht des Monsters und es final in die Weite des Alls schleudert. Zieht sie sich kurz davor vor der Kamera um, ist es keine erotische Geste des Films, sondern der finale Verweis darauf, wer hier triumphiert: Die Frau.
Doch auch das Raumschiff an sich ist in einem gewissen Sinne ein utopischer Ort, an dem sich Frauen, Weiße und Schwarze auf Augenhöhe begegnen. Parker wird nicht mit traditionell schwarzen Filmtropes skizziert und die Beziehungen zwischen den Frauen an Board, Ripley und Joan, und dem Rest der Crew sind frei von jedweder Sexualisierung. Das Melodram und seine konservativen Stereotype bleiben zu Hause.
Trotzdem verbleiben die utopischen Potenziale, die Alien anreißt, vor dem Hintergrund der düster gezeichneten, cyberkapitalistischen Zukunftsvision des Films, letztlich in dem Zustand einer enklavischen Randerscheinung.
High tech, low life
Im Grunde folgen wir einer Gruppe klassischer Arbeiter, die in einem Konzern angestellt sind und von diesem – wie sich explizit in Ripleys Interaktion mit der Bord-KI zeigt – nicht als Menschen mit Würde, sondern einzig als Mittel zum Zweck des Profits betrachtet werden. Auch in der Zukunft ist die bestehende Ordnung auf Wachstum und die Ausbeutung von Ressourcen angewiesen, die nun jedoch nicht mehr aus den Kohlegruben der 70er oder den gegenwärtigen Lithiumminen der dritten Welt stammen, sondern aus der Leere des Weltalls – und dort von Ausgebeuteten geschürft und zur Erde transportiert werden. Dystopische Science-Fiction, in der Fortschritt nur noch als technologisches Upgrade für den bestehenden Spätkapitalismus verstanden wird, während alles Soziale stagniert oder erodiert.
Der Konzern selbst tritt als reine KI auf, als mittlerweile vollkommen computerisierte und damit dehumanisierte Ausdrucksform des Kapitals. Ironisch scheint, dass seine Repräsentanten – ein Bordcomputer namens Mother, ein Roboter in Menschengestalt und das Schiff selbst, genannt Nostromo, „unser Mann“ – allesamt den Versuch wiederspiegeln, Menschlichkeit zu simulieren, wo keine ist. Wo ist die Art, in der sich die globalen Unternehmen der Gegenwart, Starbucks und Co., die Monstrosität ihres Seins gerne mit grünen Fassaden und Regenbogenflaggen überpinseln, groß anders?
Das Alien selbst ist – wie der Horror in allen Benchmark-Kunstwerken des Genres – nicht bloß als einfältige Gefahr für Leib und Leben zu verstehen, sondern als Materialisierung einer viel grundlegenderen menschlichen Furcht. Wandelbar, angepasst, einverleibend. „Ein perfekter Organismus“. Dass mit diesen Attributen sowohl dass Alien als auch der Kapitalismus beschrieben werden können, ist kein Zufall. „Es ist wie ein Mann“, observiert Parker, der schwarze Repräsentant der Arbeiterklasse. „Ungetrübt von Reue, einem Gewissen oder dem Trugbild einer Moral“, fügt der Konzern-Bot Ash nicht ohne Ehrfurcht kurz vor seiner eigenen Terminierung hinzu. Kurzum: Ein idealer Mitarbeiter, das perfekte Mittel zum Zweck des unternehmerischen Profits.
Somit kämpfen die Protagonisten nicht nur gegen die unmittelbare Gewalt des Monsters, sondern auch gegen den Horizont ihrer eigenen Ersetzbarkeit. Gegen eine Zukunft, in der das Kapital, das Nick Land schon in den 90er-Jahren als eine Form künstlicher Intelligenz umschrieb, die Notwendigkeit des Menschen und seiner Tugenden – im Film durch den Einfallsreichtum und die emphatischen Gesten der Crew repräsentiert – längst überwunden hat.
Doch was bedeutet es, wenn Ripley das Alien am Ende des Films in die Weiten des Weltalls schleudert? Ist es die oft formulierte Idee der Frau, die einzig noch Wiederstand leisten kann? Die noch nicht vom Aphrodisiakum der dominanten, patriarchal organisierten Ideologie korrumpiert wurde? Ist es der Sieg des Humanismus oder gar ein revolutionäres Moment? Am Ende von Alien sind alle Crewmitglieder außer Ripley gefallen, sie selbst schwebt den Randzonen unserer Milchstraße entgegen, einzig mit der Hoffnung gesegnet von den Wachposten des Systems gefunden zu werden. Aus den einsamen Schlussbildern des Films spricht nicht der Geist der geglückten Revolution, es ist ein erschöpftes „Gerade noch mal geschafft, gerade noch über Wasser gehalten“. Ein Lichtstreif in einem Portrait, das weiterhin von düsteren Farbtönen dominiert wird
No Future
Alien erschien im gleichen Jahr, in dem Thatcher gewählt wurde und Reagan am Horizont auftauchte. Ähnlich wie Joy Divisons Post-Punk-Meisterwerk Unknown Pleasures, dessen Cover die gleichen visualisierten Radiopulse, die auch im Film auf den Bildschirmen zu sehen sind, zeigt, ist auch Scotts Kunstwerk von einer prophetischen Atmosphäre durchzogen. Sowohl die depressive Apathie der Musik Ian Curtis‘ als auch die High tech, low life-Attitüde der Alienschen Zukunft, weisen voraus auf zwei Jahrzehnte, die vom Niedergang des linken Projekts und dem Aufkommen des Technizismus, vom Erodieren des Sozialstaats, dem sprunghaften Anstieg psychischer Krankheiten und dem verschwinden radikal andersgearteter Utopien geprägt sein sollten. Popkulturelle Verweise auf die gesellschaftliche Depression, die folgte.
Ende des Millenniums, 20 Jahre später, rief Francis Fukuyama das Ende der Geschichte (und damit auch der Zukunft) aus, der kapitalistische Realismus hatte mit dem Zusammenbruch des Ostblocks vorerst gesiegt und Danny Boyle fand mit Trainspotting 1996 den cineastischen Ausdruck einer desillusionierten Jugend auf Drogen aller Art, gezeichnet von 20 Jahren neoliberaler Schreckensherrschaft. Es überrascht nicht, dass Boyle später beinahe selbst Alien: Resurrection gedreht hätte und in Scotts Alien einen der besten Filme aller Zeiten sieht. Dem ist zuzustimmen.