Last Exit Revolution: »Catching Fire« von Francis Lawrence

Longreads

Catching Fire von Francis Lawrence ist ein Explosion im Herzen des spröden Franchise-Kinos, ein Werk, das vom Status Quo des kapitalischen Realismus aus hinaus auf die Ausgangstür verweist. Kurzum: Ein Wunder.

Die Diskussion um Francis Lawrence – und so viele sei bereits vorweggenommen – in meinen Augen fantastischen Film Catching Fire, drehte sich mal wieder exzessiv um Metafragen, die anhand des Films besprochen wurden. Von dem Film selbst sprach man oft nur am Rande. Wenn, dann ging es um Jennifer Lawrence‘ Figur Katniss im feministischen Kontext oder die Beschwerde, nach der man einfach nur den ersten Teil kopiert hätte (an dieser Stelle: Pardon, aber was für ein Quatsch). Irgendwann jedoch sah man sich stets mit der üblichen Kardinalsfrage kritischer Filmanalysen konfrontiert:

Können Werke, die zweifelfrei zielgruppenorientierte Teile der kapitalistischen Kulturindustrie sind, am Ende subversiv, vielleicht gar revolutionär sein? Oder ist diese Kritik nicht mehr, als ein eingeplanter Faktor der herrschenden Ideologie, der am Ende vielleicht sogar das System stützt?

Die pseudokritische Kulturindustrie?

Wolfgang M. Schmitt z.B. kritisiert, dass an Catching Fire, dass dieser zwar kritisch sein möchte gegenüber den „Hungerspielen“, jedoch als Produkt der Kulturindustrie ästhetisch die gleiche Funktion erfüllt, wie die Spiele im Panem-Universum:

„Denn die Panem-Trilogie lockt uns mit etwas sehr Fragwürdigem: Wir sollen Gewalt, das gegenseitige Abschlachten und Selektieren von Menschen genießen. Gegen diese soziale wie ethische Kälte legt man uns dann zum Schutze einen Deckmantel aus liberaler Kritik und Selbstreflexivität um. Doch das Ergebnis ändert sich dadurch nicht: Wir Zuschauer sollen uns genauso wie die tumbe Masse im Film an den Gladiatorenspielen erfreuen.“

Wolfgang M. Schmitt

Kurz: Die proletarische Masse im Film soll „Brot und Spiele“ konsumieren, um von den systemischen Ungerechtigkeiten des Realen nicht zu sprechen – das Kino-Publikum, soll sich an den unterhaltsam inszenierten Gladiatoren-Kämpfen des Films ergötzen, damit die materiellen Verhältnisse unangetastet bleiben. Und die eingewebte Minimalkritik sorgt dafür, dass wir uns dabei auch noch auf der richtigen, kritischen Seite wähnen.

Tatsächlich aber spielt das gegenseitige „Abschlachten“ in Catching Fire keine besonders präsente Rolle (was sicher auch an notwendigen FSK12 liegen wird – aber was interessiert uns das, oder?). Die vermeintlichen Gladiatorenkämpfe sind eigentlich keine. Die Herausforderungen der Protagonisten in der Arena, gehorchen vielmehr den klassischen Genre-Tropen des Abenteuer-Films: Giftnebel, unsichtbare Barrieren, Flutwellen, Blitzeinschläge. Szenen, die eher an eine 21-Century-Indiana-Jones-Handlung im ästhetischen Stil eines Teenager-Films erinnern und nicht an die schonungslose, vordergründige Brutalität des Ratet-R-Panem-Zwillings Battle Royal.

Und dennoch wieder und wieder: Die nicht zu tot zu bekommende, mittlerweile mit einem endloslangen grauen Bart versehenen Baudrillard’schen Idee, nach der kritische Kunst quasi eine vom System vorgesehene, stabilisierende Funktion einnimmt im Spätkapitalismus (die zum Gähnen anregende, pathetische Fragestellung lautet hier stets: Ist Matrix genau der Film, den die Matrix produziert hätte?).

Kommunikationsguerilla

Eine Frage, die in solch absurde Sackgassen des kreativen, progressiven und verändernden Denkens führt, dass ihre mittlerweile fällige Transformation eigentlich lauten müsste: Ist die reflexartige Abwehrhaltung gegenüber jeglicher linker Kunst, die – wie Catching Fire – im Maschinenraum der Kulturindustrie selbst produziert wird, nicht vielleicht eine systemstabilisierende Funktion, die verhindern soll, dass wir uns wirklich mit dem emanzipatorischen Potenzial dieser Werke befassen? Und uns stattdessen in politisch apathisches Besserwissertum manövriert?

Nein, ich denke, dass wir diese zwar fancy klingenden, doch letztlich wenig hilfreichen Gedankenkonstrukte ablehnen sollten (ich selbst war ebenfalls einer ihrer Anhänger, bin jedoch froh diese Episode des linken Denkens hinter mir gelassen zu haben). Es scheint mir wesentlich ergiebiger derlei Probleme lieber im Hinblick auf den Film selbst verhandeln. Denn Catching Fire liefert an genau dieser Schnittstelle intelligente Ansätze.

Der Film wird gerne als etwas plakative, mal mehr, mal weniger pointierte Medienkritik interpretiert, doch so sehr dies auch zutreffen mag, ist eine mit diesem Komplex artverwandte Fragestellung eigentlich die interessantere: Wie verhalten sich die Protagonisten selbst innerhalb der menschenverachtenden Medien-Zyklen, in denen sie die sprühenden Bilder zu der grauslichen Bagage des Systems, des Kapitols, mitproduzieren sollen?

Die erfrischende Antwort ist: Sie eigenen sich die Mittel selbst an und missbrauchen sie für ihren politischen Zweck. Zuerst nutzt Peeta den vom Kapitol inszenierten Propaganda-Auftritt der „Sieger“, um für eine egalitärere Politik zu sprechen (er spendet einen Teil seines Gewinns an die Familien der „Verlierer“). Später gelingt Katniss der noch größere, Coup, wenn sie sich auf der größten medialen Bühne, der Kapitol-eigenen Hunger Games-Pre-Show, von der weißen Braut, der Ästhetik der Unterdrückers, in den schwarzen Mockingbird, das Zeichen des Wiederstands, verwandelt (interessant ist hier, dass die Zuschauenden hier aus völlig verschiedenen Gründen begeistert sind: Die Kapitol-Bewohner freuen sich, da sie Katniss einen weiteren, spannenden Twist in ihrer der Welt entkoppelten Entertainment-Matrix sehen. Für die proletarischen Massen hingegen ist Katniss das Totem für den Glauben an Veränderung und die Möglichkeit einer Verbindung all derjenigen, die sonst kaum miteinander in Kontakt treten könnten – „wir müssen nicht sie vernichten, sondern ihr Bild“. Für sie geht es tatsächlich um Leben und Tod).

Sie interessieren sich nicht für Diskussionen über den Sinn und Unsinn ihrer Gesten, sie handeln im Geiste von Roland Barthes Mantra: „Ist die beste Subversion nicht die, Codes zu entstellen, statt sie zu zerstören?“ Im Stile einer Kommunikationsguerilla kapern sie die offiziellen Kanäle und die Ästhetik des Systems und werben auf ihnen für dessen Abschaffung. Ist Catching Fire in diesem Sinne nicht vielleicht genauso, wie seine Protagnisten? Ein (Female-)Teenage-SciFi-Abenteuer-Blockbuster, der die Codes des kulturindustriellen Kapitalismus jedoch zu einer Botschaft umprogrammiert, die kristallklar für nur eine Sache agitiert: Die Revolution.

No Revolution, No Party

Der brillante Schachzug des Film ist es, dass eben jene Revolution dabei schlichtweg vorausgesetzt wird. Sie ist ohne jegliche Alternative. Kein Reformismus, kein „Kapitolismus“ (ob die phonetische Ähnlichkeit zwischen der Fiktion des Kapitols und dem Realen, auf das sie anspielt – das Kapital –bewusst ist?) mit freundlichem Gesicht. Das System in der Welt von Catching Fire lässt kein Anders-im-Gleichen zu. Zu Beginn des Films ist es der von Woody Harrelson verkörperte Charakter Haymitch, der diese Erkenntnis gegenüber Katniss ausformuliert.

Du wirst diesen Zug niemals mehr verlassen. Die Rollen, die Kapitol und Reality-TV dir zuweisen werden bleiben bis du stirbst. Alles ist Schauspielerei und es gibt nichts hinter der Bühne. Keinen Wald, in den es sich flüchten ließe und wohin einen das Kapito(a)l nicht verfolgen würde. Und wenn du fliehst, können sie immernoch deine Freunde holen. Es gibt keine Bereiche, in die sie nicht eindringen könnten. Alles nur eine Frage der Zeit.

Die letzte Möglichkeit, der einzig Ausweg in eine bessere Zukunft, die der Film seinen tragischen Figuren lässt, ist die Abschaffung des Systems. Ihr Protest muss sich gegen die herrschende Ideologie selbst richten, denn „niemand gewinnt die Spiele“. Aus den Rebellen des ersten Teils müssen Revolutionäre werden.

Das Kapitol weiß um die Gefahr, die hinter dem radikalen Funken dieser Erkenntnis steht. Es versucht die politische Tat der Endsequenz des Vorgängers in eine apolitische, romantische Geste umzukodieren. Eine massenmedial inszenierte Romanze, um die Euphorie des Widerstands zu betäuben. Es Versucht die Unterdrückten gegeneinander auszuspielen – District vs. District statt Vereinte Districts vs. Kapitol – während der „Tour der Sieger“ und der Spiele selbst (an dieser Stelle hat unsere Realität die Fiktion fast schon pervertiert mit ihrer Obdachlose-vs.-Geflüchtete-Rhetorik). Doch die Revolutionäre bleiben revolutionär.

In der vielleicht eindrücklichsten Szene zielt Katniss zum Ende des Films mit ihren Pfeil auf ihren verbündeten Kontrahenten Finnick. Doch sie zögert. Hebt ihren Bogen in Richtung des künstlichen Himmels der Kuppel des Kapitols selbst. Und lässt los. Sagt dem Weiter-so, dem Unterdrückte-vs.-andere-Unterdrückte ab und schießt auf das Wirklichkeitssystem selbst.

Vergiss nicht, wer der wahre Feind ist.

Rechts der Film, links der reale Protest (hier: gegen die Militärregierung in Thailand)