Schönheit statt Coolness: »Once Upon a Time in Hollywood«

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Auch ein Tarantino, der sich in seinem eigenen Kosmos einschließt und mit cineastischer Wehmut in die Vergangenheit blickt, ist ein Genie. Und Once Upon a Time in Hollywood ist ein Meisterwerk.

Gerne wird Quentin Tarantino nachgesagt, er sei im Grund genommen nicht mehr, als eine Art (sehr guter) DJ. Jemand, der durch sein umfassendes Filmwissen und seine Fähigkeit die Grundlogiken verschiedener Filmgenres zu dekonstruieren wie kaum ein anderer, großartige Reminiszenzen an bestehende Ideen produziert. Nach dieser Lesart ist ein Tarantino-Film dem Wesen nach ein Remix. Kritik dieser Coleur zeigte bisher vor allem eines: Trotz all der Liebe, trotz des kommerziellen Erfolges, ist die Kunst Tarantinos nach wie vor eine unterschätzte.

Natürlich kennt er den Film und seine Geschichte sehr genau. Natürlich honoriert er seine Idole und Lehrmeister sowie deren Ideen. Doch rückwärtsgewand war sein Schaffen nie. Tarantinos Genie zeigte sich bisher darin, dass er die Ideen der Vergangenheit für den Geist der Gegenwart fruchtbar machen konnte. Ob er das Emanzipative des Blaxploitation-Kinos in die kapitalistische Gegenwart der 90er-Jahre überführte in Jackie Brown, in Inglourious Basterds über das subversive Potenzial der Kunst meditierte oder die Geschichte der Sklaverei mit den typischen Motiven des Spaghetti-Westerns verbinden konnte in Django Unchained, das Merkmal der Kunst Tarantinos war immer auch eine radikale Verbindung zum Gegenwärtigen.

Im Modus der Nostalgie?

Führt man diesen Gedanken fort, so ist es wahr: Once Upon a Time in Hollywood tut etwas, dass neu ist im Schaffen Tarantinos: Er verfällt der Nostalgie. Versucht man zum Einen zusammenzufassen, was hier eigentlich passiert, und zum Anderen festzuhalten, inwiefern all das noch mit unserer Gegenwart kommunizieren kann, fällt die Antwort in beiden Fällen spärlich aus. Und dennoch sehen wir mit Once Upon a Time in Hollywood ein Meisterwerk des Autorenkinos.

Tarantino kreiert eine elgeante Ode an eine Zeit, die er selbst nur durch die Kunst jener Jahre erfahren durfte. Wenn man ihn fragt, ob er jemals zu Filmschule ging, antwortet er stets: „Nein, ich ging in die Filme“. Und so ist es auch nicht die Perspektive des Akademikers, sondern die des Filmliebhabers, die in jeder Einstellung, jeder Szene durch das Gezeigte hindurch schimmert. Das Los Angeles, in dem wir uns bewegen, ist dabei – wie der Titel bereits vorweg nimmt – ein märchenhaftes. Wie für Tarantino typisch rückt die historische Exaktheit zugunsten einer präsentierten Idee in den Hintergrund. Once Upon a Time in Hollywood ist in diesem Sinne weniger Zeitdokument, als ein Film über die Filme jener Zeit. Ein Film, den wohl niemand sonst in in einer solchen Perfektion hätte inszenieren können.

Der größte Teil des Films kommt in einem verwaschenen, fast schon traumartigen Gestus daher. Wir sehen zahlose Sequenzen, in den wir unsere Protagonisten durch die Straßen Hollywoods fahren sehen. Sie hören Radio, schauen aus dem Fenster, tun eigentlich nicht viel – und ziehen uns dennoch in den cineastischen Bann ihrer Zeit. Die Cinematografie von Robert Richardson ist dabei meisterhaft. Unglaublich akribisch, detailversessen und doch geht das Traumhafte nie zum Zweck eines höhren Realismus verloren. Wir sehen das Portrait einer Gesellschaft durch den Blick der Kunstschaffenden, nicht der Historiker. Once Upon a Time in Hollywood zeichnet ein entwaffnendes Szenario und lässt den Zuschauer in diesem oftmals einfach nur verweilen.

Schönheit statt Coolness

Den typischen, vor Coolness überboardenden Tarantino-Figuren begegnen wir hier nicht. Sharon Tate, kritisiert aufgrund ihrer quasi nicht-existenten verbalen Sprache im Film, wird uns eher als Idee, denn als vollständig entwickelter Charakter gezeigt. Als Verkörperung einer sich anbahnenden New Hollywood-Ära blickt sie hoffnungsvoll in die Zukunft. Ihr Besuch im Kino gehört zu den stärksten Sequenzen des Films und verdeutlicht einmal mehr, dass Sprache – gerade im Film – so viel mehr sein kann, als nur das gesprochene Wort. Margott Robbie kontrastiert DiCaprios’ Rick Dalton auf wundervolle Art. Letzterer erinnert in seinem Spiel seit jeher an die Größen des klassischen Hollywood, seine Besetzung könnte in diesem Sinne perfekter nicht sein. Über Brad Pitts Rolle wurde bereits genug geschrieben. Stuntman Clive Booth ist eine der besten Figuren, die je das Tarantino-Universum betreten durften.

Wie schon so oft, untergräbt Tarantino also auch mit Once Upon a Time in Hollywood Erwartungen und erfüllt sie zugleich. Wo in den Dialogen hier und dort die typische Coolness, das „Knistern“ fehlt, überrascht uns eine ungeahnte Menschlichkeit in den gezeigten Charakteren, die am ehesten noch an Jackie Brown erinnert. Wie immer redet das Medienecho viel zu viel über die typischen Tarantino-Trademarks und vergisst dabei, dass jene nie billige Taschenspielertricks waren und der Kern seiner Filmkunst wesentlich tiefer liegt.

Wenn Dalton am Ende in symbolischer Manier seiner neuen Karierre entgegen spaziert und von Sharon Tate umarmt wird, sehen wir eine Szene die schöner nicht sein konnte. Das Kino trotzt der grausamen Realität und zeichnet zugleich die Alternative. Die Kamera wechselt in die Vogelperspektive, so als möchte sich Tarantino von seinen Figuren verabschieden und sie in ihre Welt, eine bessere Welt, entlassen.

Natürlich kann es uns mit einer gewissen Schwermütigkeit erfüllen, wenn wir in einer Zeit leben, in der sogar ein radikaler Künstler wie Quentin Tarantino nicht mehr den Kampf mit den Wirren der Gegenwart aufnimmt, sich all den grauenhaften Marvel-Zielgruppenzuschnitten und politisch fragwürdigen Integrationskomödien eben nicht mehr in den Weg stellt. Doch auch ein Tarantino, der sich in seinem eigenen Kosmos einschließt und mit cineastischer Wehmut in die Vergangenheit blickt, ist ein Genie. Und Once Upon a Time in Hollywood ist ein Meisterwerk.