Haltung in postmodernen Zeiten: „Silence“ und Scorseses Katholizismus

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Wir streichen den Kitsch. Wir streichen die Romantik. Wir streichen eine künstliche Dramatik. Wir streichen all die dahinwabernde Filmmusik, die uns anleitet, in dem was wir fühlen sollen. Wir streichen die artifiziellen One-Takes und das zeitgenössische Kunst-sein-wollen und nicht Kunst-sein gleich mit. Wir bekommen Silence. Einen großen Film, der an der 3-Stundenmarke kratzt und thematisch doch auf Wesentliches reduziert daherkommt. Zweifelsfrei sehen wir eines der großen Werke dieser Dekade.

Zunächst bestätigt Silence das, was längst bekannt war: Martin Scorsese ist ein Meister der Kinokunst. Einer der letzten Vertreter der langsam im cineastischen Hintergrund verblassenden Autorenfilmer. In einer serialisierten Mulitplex-Landschaft, in der Regisseure ihr am Recht am Final Cut an Disney-Oligarchen veräußern müssen und wir uns schon heute auf Avatar Pt. 5 vorfreuen dürfen, ist es ein Wohltat einen Film zu sehen, der so klar, so brillant und selbstsicher inszeniert, so bestechend in seinen Bildern ist. Eine unverkennbare Handschrift, aus deren Signatur Originalität und nicht Zielgruppenausrichtung spricht.

Kritisiert wurde der Fokus des Films. Zu sehr würde die christliche Perspektive im Mittelpunkt stehen, die Japaner hingegen hätten zu wenig Screentime, blieben außen vor. Und zu unkritisch, das sei er ebenfalls. Abgesehen davon, dass derlei Kritik – selbst wenn angebracht – nur in Teilen zuträfe, verfehlt sie doch den Kern des Werks. Ein Film muss seine Themen mit Würde und Klugheit behandeln, eine ausgewogene Berichterstattung hingegen muss sicher nicht geleistet werden. Und ohnehin erfasst der häufig attestierte Fokus auf die Kompatibilität von Religionen das Thema dieses Films nur begrenzt. Vielmehr widmet sich Scorsese erneut seinem Kernthema: Der Identität. Und diesmal geht es um seine eigene.

Silence macht öffentlich, was unterschwellig längst durchgedrungen war: Martin Scorsese ist Katholik. Ja, es mag stimmen, dies ist sein persönlichstes Werk. Ein Werk über Charakteristika des Christentums, in dem wir Personen sehen, die für ihren Glauben ihr eigenes Leben geben würden. Ein Film, in dem Japaner gezeigt werden, die sogar überzeugte Jesuiten-Priester zweifeln lassen, ob es nicht vielleicht sogar sie selbst sind, deren Glauben nicht ausreicht, um hier, in einem „Sumpf“, auf Mission zu gehen. Doch die Tatsache, dass dieses Werk ein Persönliches ist, untergräbt seine Gegenwärtigkeit mitnichten.

Wir leben in Zeiten, in denen Aufbau, Wandel und Terminierung von Identitäten an die Lebensdauer von Marketingzyklen und geplanten Obsoleszenzen gekettet werden. Zeiten, in denen gesponserte Buzzfeed-Quizze dir täglich sagen können, welcher Avenger du bist und welche Produkte demnach zu dir passen. Zeiten, in denen Individuen in einem Maße in ihre Metadaten zerlegt werden können, dass der französische Philosoph Gilles Deleuze zurecht darauf verweist, man müsse mittlerweile eher von Dividuen sprechen. In eben diesen Zeiten ist es ein politischer Akt einen Film zu drehen, in dessen Mittelpunkt zwei Menschen stehen, deren Identität mit einer Haltung einher geht, für die sie bereit sind einzustehen, ja gar zu sterben. Ein solche Haltung muss nicht das Christentum sein, denn Haltung haben ist etwas Grundlegenderes. Etwas, das heute fehlt.

Werden wir in Zukunft über die besten Filme der 2010er-Jahren reden, so ist zu hoffen, dass der Name Silence fällt. Wo Filme wie Gravity, Eat Pray Love oder The Revenant Spiritualität als oberflächliches, ethnokitschiges Esoterik-Konstrukt für gelangweilte Konsum-Bürger präsentieren, nimmt Scorsese die Themen Glauben und Christentum erfreulicherweise ernst. Die Jesuiten möchten Haltung und Identität nicht gegenüber den Japanern abschwören, die Japaner stellen ihre eigene Identität den missionarischen Bemühungen gegenüber. Scorsese verschließt sich glücklicherweise allzu einfachen Antworten auf derlei Komplexitäten und liefert stattdessen: Ein Meisterwerk.