Britney Spears, Harmony Korines „Spring Breakers“ und die Abgründe hinter den Fassaden des Pop

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Wir sehen James Franco vor einer untergehenden Sonne am Klavier sitzen. Er hat Grillz auf den Zähnen und trägt Dreadlocks, er ist Gangster. Sein amerikanischer Traum lebt nicht von mehr, als auf irgendeine Weise an viel Geld zu kommen. Um ihn herum tänzeln drei halbnackte, maskierte Teenager, die Pumpguns in ihren Händen schwingend wie billige Wodkaflaschen. Wir sehen eben dieses Szenario im Schnitt mit einer Montage voller Exzess, voller Überfälle und auch voller Melancholie. Es ist eine Szene, wie man sie nicht im Roman, nicht im Theater, sondern nur im Kino sehen kann. Eine Szene, die zu den besten der modernen Filmgeschichte zählen wird.

Das Lied, das dabei gespielt wird, ist „Everytime“ von Britney Spears. In dem autobiographischen Musikvideo zu dem Song sehen wir eine Musikerin, die am Ende einer erfolgreichen wie auszehrenden Karriere Suizid begeht. Diese Auswahl ist kein Zufall, vereint Britney Spears doch wie an kaum eine andere Pop-Künstlerin die Sonnen- und Schattenseiten des öffentlichen Daseins, des Vermarktens und Vermarktetwerdens, in sich. Auf der einen Seite das enthemmte Genießen, das Geld, der Exzess, auf der anderen Seite existenzielle Leere, Ausgelaugtsein, Depressionen, Gewalt, Entmündigung. Harmony Korines Fokus in Spring Breakers folgt dem Ansatz seines Songs. Gnadenlos und in brillanter Inszenierung werden die tieftraurigen Abgründe hinter einer hedonistischen Fassade des enthemmten Genießens freigelegt. Übrig bleiben nichts als Gewalt und Eskapismus.

Spulen wir rund 60 Minuten zurück, begegnet uns ein weiterer Song von Britney Spears: „…Baby One More Time“. Ein Song, dessen zweideutiger Titel in Amerika Kontroversen auslöste während die Werbeindustrie das Zerrbild eines Spring Breaks gestaltete, das in der Lage seien sollte, die reflexive Ohnmacht und Alternativlosigkeit suburbaner Teenager-Existenzen durch absolute Zügellosigkeit zu überkompensieren. Das rechte Maß war in beiden Fällen gleichermaßen längst verloren gegangen. Gesungen wird der Song acapella von vier Teenagerinnen, zwei von ihnen durch Selena Gomez und Vanessa Hudgens verkörpert. Mit der Besetzung dieser Rollen mit ehemaligen, glattproduzierten Disney-Stars gelingt Korine ein kleines Meisterstück in Sachen Erwartungshaltung- und -erfüllung. Sitzen die jungen Mädchen im Kino, um ihren Idolen bei der Erfüllung von konstruierten Phantasien, die sie selbst längst hegen, beizuwohnen, werden sie vor den Kopf gestoßen. Spring Breakers hält zwar den Spiegel vor, doch er wirft gänzlich andere, düsterere Reflektionen zurück als erwartet.

Wo Disney den Genuss und den Eskapismus, der verbreitet wird, stets gut in bekömmlichen Light-Version auf den ideologischen Speiseplan setzt, bleibt Korine konsequent und dekonstruierend. Die weiblichen Körper, pornografisiert ausgestellt, werden immer wieder und wieder präsentiert, bis sie nicht mehr schön, sondern nur noch als deprimierendes Fleisch erscheinen. Die endlosen Beteuerungen, die Lobpreisungen, die Sich-gut-fühlen-Superlative verkommen zu leeren Zuckungen eines einstudierten Habitus, eines Versprechens, dessen reale Einlösung nicht nur enttäuscht, sondern zerstört. Noch ein nackter Körper, noch ein Schlauch durch den Alkohol eingeflößt wird, noch mehr Drogen, in Lines angeordnet auf sich räkelnden jungen Mädchen, noch mehr Genießen, noch mehr Zu-sich-selbst-finden, noch mehr Alltagseskapismus. Immer weiter, immer exzessiver bis der Zuschauer es nicht mehr sehen mag. Subversion durch Affirmation. Kluge Kritik indem man gezwungen wird hinzusehen und die Abgründe anzuerkennen.

Das alles ist so dreckig und pulsierend wie meisterhaft inszeniert. Wo Filme für gewöhnlich nach perfekten Erzählrhythmen streben, lebt Spring Breakers vom Disharmonischen, vom Bruch. Hektische Montagen, die an Musikvideos erinnern, ein Verzicht auf klare Szenen- wie Erzählstrukturen, Monologe aus dem Off, die so konsequent gestartet, abgebrochen und wiederholt werden, wie die Gedankenstränge ihrer Protagnistinnen im Exzess. Betrunkene Teenager, die in hedonistische Sphären entschweben wollen, werden von wackligen, hektisch geschnittenen Kamerafahrten zu Boden gedrückt. Draufgehalten wird gerade dann, wenn zelebrierende Werke wie American Pie längst abgeschaltet haben. Lustmusik unterlegt Gewaltbilder. Zwischendurch laufen die Songs von Skrillex, dessen von ständigen Brüchen gekennzeichneter Dubstep zwar noch an ausgelassene Clubmusik erinnert, zugleich jedoch immer auch schon auf ihre Abgründe verweist. Korine versteht sein Medium: Die Form des Werks ist hier zugleich immer auch seine Botschaft.

Mit Spring Breakers sehen wir einen der besten Filme der 2010er-Jahre. Ein Film, der unter den Müllkippen der Ideologie verschleierte Strukturen freilegt. Der auf die enge Verwandtschaft von purem Hedonismus und tiefer Traurigkeit verweist, die unsere spätkapitalistischen Gesellschaften durchzieht. Der 2015 durch Suizid verstorbene Kulturtheoretiker Mark Fisher schrieb und Spring Breakers hallt nach:

Viele der Schüler im Teenageralter, mit denen ich zu tun hatte, befanden sich in einem Zustand, den ich als „depressive Hedonie“ beschreiben würde. Eine Depression zeichnet sich normalerweise durch Unlust aus. Aber der von mir beschriebene Zustand ist weniger durch eine Genussunfähigkeit gekennzeichnet als durch eine Unfähigkeit, irgendetwas anderes außer dem eigenen Genießen zu verfolgen. Es existiert zwar eine vage Ahnung, dass „irgendetwas fehlt“ – aber kein Verständnis dafür, dass dieser mysteriöse, verfehlende Genuss nur jenseits des Lustprinzips zugänglich sein könnte.