Wenn der populäre Film immer auch Spiegel seiner Zeit ist, wie schlimm muss es dann um eine Gesellschaft stehen, die ein eigenes Subgenre namens „Rape & Revenge“ hervorgebracht hat? Und was zeichnet deren Verwerfungen aus?
Promising Young Woman, dessen Titel eine Umkehrung der häufig durch die Medien geisternde Beschreibung des „Promising Young Man“ ist, mit der die Taten des Vergewaltigers Brock Turner verharmlost wurden, rückt genau diese Fragen in den Fokus. Es handelt sich nicht um einen Film, der primär um das Trauma einer einzelnen Protagonistin kreist (auch wenn er dieses, sprich: die direkten Folgen des Systems, immer respektvoll und oft auch niederschmetternd im Blick behält), sondern Station für Station und die Zahnräder erkennt und analytisch klar decodiert, die dazu führen, dass wir uns im 21. Jahrhundert noch immer in einer Rape-Culture wiederfinden. Einer Kultur, in der Vergewaltigungen noch immer strukturell gedeckt werden. Deren patriarchale Architektur auf der Ergebnisseite meist den Mann schützt.
Emerald Fennell inszeniert ihr Debütwerk dabei so klar und entschlossen, dass der Ansatz – und das zeigen die ersten Kritiken bereits – sicher polarisiert, wo es doch um ein solch fragiles Thema geht. Promising Young Woman ist kein klassisches Drama, sondern ein Film, der mit einer Menge Coolness, schwarzhumorigen Dialogen, Stimmungsverlagerungen und dem exzessiven, aber doch meist stilsicheren Einsatz von Popmusik (die Eröffnungs-Szene, die mit „Boys“ von Charli XCX unterlegt wird, ist schlichtweg grandios) kreiert wurde und damit äußerst zeitgeistig und hipp wirkt.
Ohne Zweifel sehen wir also einen wirklich mutig inszenierten, popaffinen (und ich denke auch: sehr guten) Film. Ob eben diese Herangehensweise für genau dieses Thema angemessen ist? Ich weiß es nicht und habe ehrlich gesagt auch nicht das Gefühl, besonders qualifiziert zu sein – männlich, weiß, Student – diese Frage zu beantworten.
Was ich jedoch ganz sicher sagen kann ist Folgendes: Die Darstellung der Männer ist ganz sicher nicht „unfair“, „zu pauschal“ oder „sexistisch gegenüber Männern“. Ich schreibe dies, weil sich diverse fragile Männeregos von einem solch selbstbewussten, weiblichen Film mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in die Defensive gedrängt sehen werden. Grobschlächtiger Gegenschlag inklusive.
Auch nach dem tollen Vorgängerwerk The Rider bleibt Chloé Zhao mit Nomadland in vielerlei Hinsicht dem Western-Genre treu. Die wundervollen Einstellungen der Weiten des US-amerikanischen Inlands, die Menschen „on the road“ und das Freiheitsideal, das ihnen kulturell überliefert wird sind auch hier zentral. Trotzdem ist Nomadland kein Western, sondern vielmehr das Werk, das zeigt, was nach über einem Jahrhundert kapitalistischer Landerschließung an Trümmern übrig bleibt: Der Einsamkeit ausgelieferte Menschen, für die sich die Gesellschaft nicht mehr interessiert. Menschen, die unter die Räder eines bedingungslos am Profit ausgerichteten System geraten sind – gesundheitlich, finanziell, existenziell.
Versuchte der klassische Western den von Freiheit und Pioniergeist beseelten idealen Amerikaner unter das Volk zu bringen, ist Nomadland genau hierfür eine Art ideologisches Gegengift: Pioniergeist und Freiheit sind hier höchstens noch weltanschauliche Fantasien hinter denen der Zwang zur Mobilität und zum lebenslangen Arbeiten stehen, da die Rente weder für die Miete noch für ein Leben in Würde reicht.
Nomadland ist ein wunderschöner, ruhiger Film, der von einer tiefen Empathie für seine Figuren und einem bedingungslos humanistischem Anliegen getragen wird. Ein Film, der jedoch anhand des Schicksals seiner Protagonisten ebenso schonungslos zeigt, dass das System, in dem wir leben, für die Vielen nach wie vor ein unmenschliches ist.
Am Anfang die Liebenden, am Ende die Trennung und der Neubeginn. Dazwischen: Die Einsamkeit. Wie kaum jemand sonst, bringen Tony Leungs Charaktere in Wong Kar-Wai Filmen die Komplexität tiefster menschlicher Gefühle in einfachsten Sätzen zum Vorschein: „Nun bin ich am Ende der Welt und muss an Ho Po-wing denken. Ich bin traurig. Wir sollten zusammen hier sein.“ Natürlich bricht Happy Together Herzen und ist mitunter erfüllt von tiefster Traurigkeit. Doch ist eben diese emotionale Wucht nur deshalb existent, weil wir Menschen und Gefühlen mit Fallhöhen folgen.
Wong Kar-Wais Darstellung von Liebe ist so stark, so kompromisslos und somit wahrhaftig, dass ihr Abhandenkommen mit völliger Leere einhergeht. Sie ist Schutzschild und Enklave der Liebenden zugleich. Erodiert sie, bleiben nicht mehr als atomisierte Einsamkeiten inmitten einer entgrenzten, urbanisierten Welt zurück, in der niemand allein und doch alle vereinzelt sind. Es ist genau das, was auf dem Spiel steht. Es ist diese Darstellung der Zerstreuung, der auf den globalen Kopf gestellten Lost in Translation, die Happy Together für die Darstellung von Einsamkeit zu dem macht, was Louis Malles Das Irrlicht für die Apathie der Depression war: Das cineastische Gradmesser.
In letzten Szene sitzt Tony Leung in der Metro, auf dem Walkmen läuft ein Cover des titelgebenden Turtles-Songs. Mit der typischen Handschrift des Regisseurs verschwimmen die Menschen der Großstadt mit dem Neonlicht der Fassaden, zwischen denen sie sich bewegen. Der Film endet mit einem Lied, mit dem Romanzen in mittelmäßigen Sitcoms beginnen würden – nur bleibt der Protagonist diesmal allein zurück. Trotzdem sehen wir keinen Abschluss in Trümmern. Aus den letzten Einstellungen spricht auch die Möglichkeit eines Neubeginns, nachdem mit der Vergangenheit abgeschlossen wurde.
Happy Together ist ein Film von unfassbarer Schönheit und – wie alle Wong Kar-Wai-Werke dieser Jahre – keinesfalls depressiv, sondern die wärmende Wolldecke in sozialen Wintertagen. Der tröstende Arm auf der Schulter des fragmentierten Ichs.
Ridley Scotts Alien ist ein Meisterwerk in jeder Hinsicht. Ein noch immer unfassbar gut aussehender, perfekter Horror- und Science-Fiction-Film, der die Kunst seiner Genres nonchalant beherrscht, eine atmosphärische Spannung dicht wie Zement kreiert und den Horror in den Kopf des Zuschauers verlegt (das Monster selbst ist nur ein paar Minuten zu sehen, die Bedrohung in der Fantasie des Zuschauers hingegen dauerpräsent). Der manifestierte Ausdruck Hitchcockscher Suspense im Gegensatz zur banalen Surprise der meisten Artverwandten. Das Alien nicht als explosiver Schock, sondern als tickende Zeitbombe unter dem Küchentisch. Und auch: So politisch wie es das Genrekino von jeher ist. Science-Fiction-Horror, der utopisch wie dystopisch gelesen werden kann.
Die erste weibliche Blockbuster-Heldin
Die utopische Qualität des Werks zeigt sich besonders präzise in seiner feministischen Dimension. Vielfach wurde darauf hingewiesen, dass Alien quasi der erste große Blockbuster mit einer weiblichen Hauptdarstellerin ist – was sicher auch in dem Sinne, in dem Repräsentation wichtig ist, relevant ist. Wesentlich bemerkenswerter ist allerdings das Wie der fantastischen Darstellung Sigourney Weavers.
Weavers Ripley ist einer der Archetypen der weiblichen Heldin, die sich nicht durch das Zu-eigen-machen klassisch männlicher Posen definiert. Anders als Beatrix Kiddo in Tarantinos emanzipatorischen Meisterwerk Kill Bill, affirmiert sie nicht die männliche Pose und fordert gewaltsam ihren Platz im Boysclub ein, sondern zeigt Stärke gerade dadurch, dass sie ihre weiblichen Qualitäten (im sozial zugeschriebenen Sinne) behält bzw. zumindest maskuline Traits nicht heroisch adaptiert. Sie ist empathisch, verletzlich, nachdenklich und trotzdem (bzw. genau deshalb) als die stärkste Figur des Films inszeniert. Auch ist sie die einzige, die von Anfang an kritisch gegenüber Ash ist, dem letztlich androiden Repräsentanten des Auftrags-Konzerns. Und sie ist am Ende diejenige, die die Ruhe behält im Angesicht des Monsters und es final in die Weite des Alls schleudert. Zieht sie sich kurz davor vor der Kamera um, ist es keine erotische Geste des Films, sondern der finale Verweis darauf, wer hier triumphiert: Die Frau.
Doch auch das Raumschiff an sich ist in einem gewissen Sinne ein utopischer Ort, an dem sich Frauen, Weiße und Schwarze auf Augenhöhe begegnen. Parker wird nicht mit traditionell schwarzen Filmtropes skizziert und die Beziehungen zwischen den Frauen an Board, Ripley und Joan, und dem Rest der Crew sind frei von jedweder Sexualisierung. Das Melodram und seine konservativen Stereotype bleiben zu Hause.
Trotzdem verbleiben die utopischen Potenziale, die Alien anreißt, vor dem Hintergrund der düster gezeichneten, cyberkapitalistischen Zukunftsvision des Films, letztlich in dem Zustand einer enklavischen Randerscheinung.
High tech, low life
Im Grunde folgen wir einer Gruppe klassischer Arbeiter, die in einem Konzern angestellt sind und von diesem – wie sich explizit in Ripleys Interaktion mit der Bord-KI zeigt – nicht als Menschen mit Würde, sondern einzig als Mittel zum Zweck des Profits betrachtet werden. Auch in der Zukunft ist die bestehende Ordnung auf Wachstum und die Ausbeutung von Ressourcen angewiesen, die nun jedoch nicht mehr aus den Kohlegruben der 70er oder den gegenwärtigen Lithiumminen der dritten Welt stammen, sondern aus der Leere des Weltalls – und dort von Ausgebeuteten geschürft und zur Erde transportiert werden. Dystopische Science-Fiction, in der Fortschritt nur noch als technologisches Upgrade für den bestehenden Spätkapitalismus verstanden wird, während alles Soziale stagniert oder erodiert.
Der Konzern selbst tritt als reine KI auf, als mittlerweile vollkommen computerisierte und damit dehumanisierte Ausdrucksform des Kapitals. Ironisch scheint, dass seine Repräsentanten – ein Bordcomputer namens Mother, ein Roboter in Menschengestalt und das Schiff selbst, genannt Nostromo, „unser Mann“ – allesamt den Versuch wiederspiegeln, Menschlichkeit zu simulieren, wo keine ist. Wo ist die Art, in der sich die globalen Unternehmen der Gegenwart, Starbucks und Co., die Monstrosität ihres Seins gerne mit grünen Fassaden und Regenbogenflaggen überpinseln, groß anders?
Das Alien selbst ist – wie der Horror in allen Benchmark-Kunstwerken des Genres – nicht bloß als einfältige Gefahr für Leib und Leben zu verstehen, sondern als Materialisierung einer viel grundlegenderen menschlichen Furcht. Wandelbar, angepasst, einverleibend. „Ein perfekter Organismus“. Dass mit diesen Attributen sowohl dass Alien als auch der Kapitalismus beschrieben werden können, ist kein Zufall. „Es ist wie ein Mann“, observiert Parker, der schwarze Repräsentant der Arbeiterklasse. „Ungetrübt von Reue, einem Gewissen oder dem Trugbild einer Moral“, fügt der Konzern-Bot Ash nicht ohne Ehrfurcht kurz vor seiner eigenen Terminierung hinzu. Kurzum: Ein idealer Mitarbeiter, das perfekte Mittel zum Zweck des unternehmerischen Profits.
Somit kämpfen die Protagonisten nicht nur gegen die unmittelbare Gewalt des Monsters, sondern auch gegen den Horizont ihrer eigenen Ersetzbarkeit. Gegen eine Zukunft, in der das Kapital, das Nick Land schon in den 90er-Jahren als eine Form künstlicher Intelligenz umschrieb, die Notwendigkeit des Menschen und seiner Tugenden – im Film durch den Einfallsreichtum und die emphatischen Gesten der Crew repräsentiert – längst überwunden hat.
Doch was bedeutet es, wenn Ripley das Alien am Ende des Films in die Weiten des Weltalls schleudert? Ist es die oft formulierte Idee der Frau, die einzig noch Wiederstand leisten kann? Die noch nicht vom Aphrodisiakum der dominanten, patriarchal organisierten Ideologie korrumpiert wurde? Ist es der Sieg des Humanismus oder gar ein revolutionäres Moment? Am Ende von Alien sind alle Crewmitglieder außer Ripley gefallen, sie selbst schwebt den Randzonen unserer Milchstraße entgegen, einzig mit der Hoffnung gesegnet von den Wachposten des Systems gefunden zu werden. Aus den einsamen Schlussbildern des Films spricht nicht der Geist der geglückten Revolution, es ist ein erschöpftes „Gerade noch mal geschafft, gerade noch über Wasser gehalten“. Ein Lichtstreif in einem Portrait, das weiterhin von düsteren Farbtönen dominiert wird
No Future
Alien erschien im gleichen Jahr, in dem Thatcher gewählt wurde und Reagan am Horizont auftauchte. Ähnlich wie Joy Divisons Post-Punk-Meisterwerk Unknown Pleasures, dessen Cover die gleichen visualisierten Radiopulse, die auch im Film auf den Bildschirmen zu sehen sind, zeigt, ist auch Scotts Kunstwerk von einer prophetischen Atmosphäre durchzogen. Sowohl die depressive Apathie der Musik Ian Curtis‘ als auch die High tech, low life-Attitüde der Alienschen Zukunft, weisen voraus auf zwei Jahrzehnte, die vom Niedergang des linken Projekts und dem Aufkommen des Technizismus, vom Erodieren des Sozialstaats, dem sprunghaften Anstieg psychischer Krankheiten und dem verschwinden radikal andersgearteter Utopien geprägt sein sollten. Popkulturelle Verweise auf die gesellschaftliche Depression, die folgte.
Ende des Millenniums, 20 Jahre später, rief Francis Fukuyama das Ende der Geschichte (und damit auch der Zukunft) aus, der kapitalistische Realismus hatte mit dem Zusammenbruch des Ostblocks vorerst gesiegt und Danny Boyle fand mit Trainspotting 1996 den cineastischen Ausdruck einer desillusionierten Jugend auf Drogen aller Art, gezeichnet von 20 Jahren neoliberaler Schreckensherrschaft. Es überrascht nicht, dass Boyle später beinahe selbst Alien: Resurrection gedreht hätte und in Scotts Alien einen der besten Filme aller Zeiten sieht. Dem ist zuzustimmen.
Wie in Außer Atem folgen wie den kunstaffinen (und hier sogar titelgebenden) jungen Außenseitern durch eine kapitalistische Welt, von der sie kein Teil werden möchten. Sie kreuchen, stehlen und mogeln sich durchs Leben und folgen dem Traum von dem, was Marcuse einst „das Gespenst einer Welt, die frei sein könnte“ nannte. Doch nicht nur die Protagonisten, sondern Godards Filme an sich sind von dieser Utopie beseelt. Filme, die – analog zu Tarantino später – von der Liebe für die (Pop-)Kultur und den großen Werken der Vergangenheit sprechen, dabei aber völlig neuartige und popaffine Kunst kreieren. Kunst, die Altbekanntes verbrennt, ohne genau zu wissen was folgen soll.
Nicht jeder Schuss ein Treffer, doch allein das Wagnis, der linke Pioniergeist, der die Bilder durchzieht, sind mehr wert als jede etablierte cineastische Handwerkskunst. Dass Tarantino über Godard sagt, seine Filme hätten ihm den Spaß des Filmemachens vermittelt, es wirkt wenig überraschend, wenn man das kreative Chaos der Außenseiterbande sieht. Godards frühe Filme (seine viel zu sperrigen späteren Werke definitiv nicht) sind ein Plädoyer für ein hippes Linkssein jenseits von gewerkschaftlichem Pragmatismus oder verstaubten Leninisten und deren anti-vergnüglichen Popkultur-Zölibat. Oder um Godard selbst zu paraphrasieren: Kultur ist die Regel, Kunst die Ausnahme.